Mittwoch, 24. April 2013

Durch heitres und jegliches Wetter

Das Sonnenlied

Du höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein ist Lobpreis und Ruhm, Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie. Und keiner der Menschen 
ist wert, dich im Munde zu führen.

Sei gelobt, mein Herr, mit all deinen Kreaturen,
sonderlich mit der hohen Frau, Schwester Sonne,
die den Tag macht und mit der du uns leuchtest.
Schön in der Höhe und strahlend im mächtigen Glanz,
ist sie dein Sinnbild, du Herrlicher!

Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Mond 
und die Sterne. Du hast sie am Himmel geformt,
klar, kostbar und schön.

Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Wind,
durch Luft und Gewölk, durch heitres und jegliches Wetter
Alle Kreaturen belebst du durch sie!

Sei gelobt, mein Herr, durch Schwester Wasser.
Es ist so nützlich, gering, köstlich und keusch.

Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Feuer. 
Durch ihn erhellst du die Nacht, schön ist er,
heiter und kraftvoll und stark.

Sei gelobt, mein Herr, durch unsere Schwester
Mutter Erde. Sie ernährt und versorgt uns
und zeitigt allerlei Früchte, farbige Blumen und Gras.

Sei gelobt, mein Herr, durch jene, die verzeihen
in deiner Liebe, die Krankheit tragen und Trübsal.
Selig, die da dulden in Frieden ! Von dir, du
Höchster, empfangen sie die Krone.

Sei gelobt, mein Herr, durch deinen Bruder,
den Leibestod. Kein Lebender kann ihm entrinnen.
Weh denen, die sterben in Todsünden. Selig, die
sterben, geborgen in deinem heiligsten Willen.
Der zweite Tod vermag nichts wider sie.

Lobet und preiset meinen Herrn, danket und dient ihm
in großer Demut. 


Der Sonnengesang ist der bekannteste Text des Troubadours aus Assisi und zählt aufgrund seiner dichterischen Gestalt und seines Inhalts zur Weltliteratur. Es entstand in alt- italienischer Sprache im Winter 1224/ 25, als Franziskus krank in einer Hütte bei San Damiano lag. Nach späteren Quellen fügte Franziskus die Friedens-strophe hinzu, um einen Streit zwischen dem Bischof und dem Bürgermeister von Assisi zu schlichten. Die Strophe über „Bruder Tod“ verfasste er, als er selbst dem Tode nahe war.  

Faszinierend ist dieses einfache Loblied für mich nicht allein, weil es Gottes gute Schöpfung lobt, sondern weil es sie gerade in Zeiten der Bedrohung lobt. Beschwörend. Und voller Demut. Wenn ich krank bin, dann klage ich, wenn ich Streit erlebe, streite ich gern mit. Heute strahlt mir die Sonne ins Zimmer und es ist alles ganz mild und leicht. Franziskus liebte vermutlich gutes sonniges Wetter genau wie alle andern auch, aber seine Liebe umspannt jegliches Wetter.