Dienstag, 6. März 2018

Mein armer Vetter


Ja, Heine war mir immer zu spöttisch, aber in letzter Zeit, also dieser armen, armen Geistesgegenwart, wo die Welt scheinbar überhaupt kaum mehr Satire, Spott und tiefere Ironie erträgt - ich meine über die Spaßmacher, die gegen Politiker und Lehrer witzeln hinausgehend - kommt mir Heine doch gelegen. Außerdem las ich gerade, dass der aus einer jüdischen Familie stammende Heine sich taufen ließ (um Lehrer werden zu können ok) und Jesus als Mystiker sehr schätzte, man kann sogar sagen liebte. Er nennt ihn darum "Vetter". Ansonsten war er freilich mit Durchschauen beschäftigt und so wurde er zu klug, um ernsthaft glauben zu können...

Zur Passionszeit nun einen Auszug aus dem Wintermärchen:





Heinrich Heine

aus: Deutschland. Ein Wintermärchen (1848)


Und als der Morgennebel zerrann,
Da sah ich am Wege ragen,
Im Frührotschein, das Bild des Manns,
Der an das Kreuz geschlagen.

Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal
Dein Anblick, mein armer Vetter,
Der du die Welt erlösen gewollt,
Du Narr, du Menschheitsretter!

Sie haben dir übel mitgespielt!
Die Herren vom hohen Rate.
Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos
Von der Kirche und vom Staate!

Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei
Noch nicht in jenen Tagen
Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch
Über die Himmelsfragen.

Der Zensor hätte gestrichen darin,
Was etwa anzüglich auf Erden,
Und liebend bewahrte dich die Zensur
Vor dem Gekreuzigtwerden.

Ach! hättest du nur einen andern Text
Zu deiner Bergpredigt genommen,
Besaßest ja Geist und Talent genug,
Und konntest schonen die Frommen!

Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar
Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel -
Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
Als warnendes Exempel!