Montag, 22. April 2013

Jeden Morgen las ich ...

Jeden Morgen las ich ein wenig in den Evangelien. - Es ist eine köstliche Weise, so den Tag zu beginnen. Jeder sollte es tun, auch wenn er selbst ein wildes unregelmäßiges Leben führt. 

Ein dem Erlöser ähnliches Leben führt nur, wer ganz und gar er selbst bleibt, sei er nun ein großer Dichter oder ein Gelehrter, ein junger Student oder ein einfacher Schafhirte auf der Heide, ein Dramatiker wie Shakespeare oder ein Sucher und Gottgrübler wie Spinoza, ein spielendes Kind, oder ein Fischer, der seine Netze in den See senkt. Er sei was er mag, was liegt daran, wenn er nur alle Möglichkeiten seiner Seele zur Entfaltung bringt. 
 
Man könnte einwenden: warum lies Jesus dann Simon, den Fischer, nicht an seinem See? Warum sprach er sein Folge mir nach! Hätte Simon nicht auch ganz und gar er selbst bleiben können, dort unter den anderen Fischern? Warum musste er alles stehen und liegen lassen, Jesus nachfolgen und Petrus werden? Warum musste Saulus zum Paulus werden? Die Frage also ist: gehört zur Imitatio Christi die Selbstverleugnung? Oder führte Adolf H. schon ein dem Erlöser ähnliches Leben, weil er so ganz und gar er selbst blieb?

Ich sage mir, die noch immer sogenannte "Wahrheit" liegt in der Mitte. Und irgendwie ahne ich sogar, was an dieser Wilden Auslegung völlig korrekt ist, nämlich, dass jeder Mensch eine Gabe hat, die er nutzen und gerade nicht verleugnen soll. Jesus sah die Gabe Simons, der ein Petrus werden sollte, der seine Bestimmung nur als Petrus erlangen konnte. Er wäre als Fischer am See nie ganz und gar er selbst geworden. Er musste ein anderer werden, um er selbst zu werden. Hesse würde das hier sehr gefallen.