Mittwoch, 16. Mai 2018

Eine symbolische Episode

Oder nochmal Heinrich Heine

Ich weiß nicht, ob der Mönch, der mir unfern Lucca begegnete, ein frommer Mann ist. Aber ich weiß, sein alter Leib steckt arm und nackt in einer groben Kutte, jahraus jahrein; die zerrissenen Sandalen können seine bloßen Füße nicht genug schützen, wenn er, durch Dorn und Gestrippe, die Felsen hinauf klimmt, um droben, in den Bergdörfern, Kranke zu trösten oder Kindern beten zu lehren; - und er ist zufrieden, wenn man ihm dafür ein Stückchen Brot in den Sack steckt, und ihm ein bißchen Stroh gibt, um darauf zu schlafen. "Gegen den Mann will ich nicht schreiben", sprach ich zu mir selbst. "Wenn ich wieder zu Hause in Deutschland, auf meinem Lehnsessel, am knisternden Öfchen, bei einer behaglichen Tasse Tee, wohlgenährt und warm sitze, und gegen die katholischen Pfaffen schreibe - gegen den Mann will ich nicht schreiben."


aus: Heinrich Heine, Die Stadt Lucca.

Dienstag, 6. März 2018

Mein armer Vetter


Ja, Heine war mir immer zu spöttisch, aber in letzter Zeit, also dieser armen, armen Geistesgegenwart, wo die Welt scheinbar überhaupt kaum mehr Satire, Spott und tiefere Ironie erträgt - ich meine über die Spaßmacher, die gegen Politiker und Lehrer witzeln hinausgehend - kommt mir Heine doch gelegen. Außerdem las ich gerade, dass der aus einer jüdischen Familie stammende Heine sich taufen ließ (um Lehrer werden zu können ok) und Jesus als Mystiker sehr schätzte, man kann sogar sagen liebte. Er nennt ihn darum "Vetter". Ansonsten war er freilich mit Durchschauen beschäftigt und so wurde er zu klug, um ernsthaft glauben zu können...

Zur Passionszeit nun einen Auszug aus dem Wintermärchen:





Heinrich Heine

aus: Deutschland. Ein Wintermärchen (1848)


Und als der Morgennebel zerrann,
Da sah ich am Wege ragen,
Im Frührotschein, das Bild des Manns,
Der an das Kreuz geschlagen.

Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal
Dein Anblick, mein armer Vetter,
Der du die Welt erlösen gewollt,
Du Narr, du Menschheitsretter!

Sie haben dir übel mitgespielt!
Die Herren vom hohen Rate.
Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos
Von der Kirche und vom Staate!

Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei
Noch nicht in jenen Tagen
Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch
Über die Himmelsfragen.

Der Zensor hätte gestrichen darin,
Was etwa anzüglich auf Erden,
Und liebend bewahrte dich die Zensur
Vor dem Gekreuzigtwerden.

Ach! hättest du nur einen andern Text
Zu deiner Bergpredigt genommen,
Besaßest ja Geist und Talent genug,
Und konntest schonen die Frommen!

Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar
Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel -
Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
Als warnendes Exempel!

Sonntag, 25. Februar 2018

Egal was kommt...


Péter Kántor

Was Gott wissen sollte

Gott sollte wissen, dass ich auf ihn zähle,
dass ich ihn brauche,
dass ich ihm vertraue,
dass er auf mich zählen kann,
dass er mich braucht,
dass er mir vertrauen kann,


dass er sich, egal was kommt,
nicht wie ein Bankdirektor verhalten kann,
oder ein Ministerpräsident, oder eine Schönheitskönigin,
dass ich mich, egal was kommt,
nicht wie ein Bankdirektor verhalten kann,
oder ein Ministerpräsident, oder eine Schönheitskönigin,

dass ich nicht von ihm erwarte, dass er überall staubsaugt,
die Teppiche ausschüttelt, schwimmen geht,
und mit dem Rauchen aufhört,
dass er nicht von mir erwarten kann, dass ich überall staubsauge,
die Teppiche ausschüttle, schwimmen gehe
und mit dem Rauchen aufhöre,

dass er sich vor Augen halten soll, dass Gutes nicht nur aus Gutem entsteht,
er soll nicht versuchen, perfekt zu sein
und er soll von der Welt nicht verlangen, perfekt zu sein,
dass ich mir vor Augen halte, dass Gutes nicht nur aus Gutem entsteht,
und ich will nicht perfekt sein,
und ich verlange auch von der Welt nicht, perfekt zu sein,

aber dass es Grenzen gibt,
er soll nicht glauben, dass ich ihm Dinge durchgehen lasse,
die nicht wieder gutzumachen sind,
dass es Grenzen gibt,
dass ich nicht glaube, dass er mir Dinge durchgehen lässt,
die nicht wieder gutzumachen sind,

und schließlich, wenn auch keiner keinem was,
so schuldet er mir doch mit Sicherheit sich selbst,
und schließlich, wenn auch keiner keinem was,
so schulde ich ihm doch mit Sicherheit mich selbst.


(Übersetzt von Terézia Mora und mit ihrer und der freundlichen Genehmigung des Autors hier veröffentlicht.) 




Donnerstag, 25. Januar 2018

an gott

an gott (von ernst jandl)

dass an gott geglaubt einstens er habe
fürwahr er das könnte nicht sagen
es sei einfach gewesen gott da
und dann nicht mehr gewesen gott da
und dazwischen sei gar nichts gewesen
jetzt aber müsste er sich plagen
wenn jetzt an gott er glauben wollte
garantieren für ihn könnte niemand
indes vielleicht eines tages
werde einfach gott wieder da sein
und gar nichts gewesen dazwischen