Sonntag, 18. August 2013

Manchmal im Traum

Czeslaw Milosz   (1911-2004)

   Von Engeln

Man hat euch die weißen Kleider genommen,
Die Flügel, sogar das Sein,
Ich glaube dennoch an euch,
Boten.

Die umgestülpte Welt,
Das schwere Gewebe, mit Sternen und Tieren bestickt.
Durchwandelt ihr und betrachtet die wahren Nähte.

Ihr rastet hier kurz,
In der Morgenstunde vielleicht bei klarem Himmel,

In der Melodie, die ein Vogel nachsingt,
Oder im Duft der Äpfel im Abenddämmer,
Wenn Licht die Gärten verzaubert.

Man sagt, es hätte euch jemand erdacht,
Doch mich überzeugt das nicht.
Die Menschen haben sich selbst genauso erdacht.

Die Stimme - ist wohl Beweis,
Weil sie ohne Zweifel von klaren Wesen stammt,
Die leicht sind, beflügelt (warum auch nicht),
Mit Blitzen gegürtet.

Ich habe manchmal im Traum diese Stimme vernommen
Und, was noch seltsamer ist, in etwa verstanden
Den Ruf oder das Gebot in überirdischer Sprache:

bald ist es Tag,
noch einer,
tu, was du kannst.


zitiert aus: ENGEL.Texte aus der Weltliteratur, hg. Anne Marie Fröhlich, Manesse Bibliothek, 1991.