Mittwoch, 6. Februar 2013

Die Überflutung

Der Autor Patrick Roth ist längst dafür bekannt, dass er gern biblische Geschichten in sein Werk aufnimmt oder diese aktualisiert. Bisher hatte ich nichts von ihm gelesen, aber ich war sehr neugierig geworden. Und ich freute mich besonders über die Empfehlung eines Freundes, weil Literatur hier sozusagen vom selben Hintergrund aus geschrieben und gelesen wurde. Meine Entdeckungsreise begann mit Starlite Terrace. Im Klappentext des Buches las ich: "Starlite Terrace - so heißt ein altes Apartmentgebäude um einen beleuchteten Swimmingpool in Los Angeles. Im Laufe eines Jahres erzählen vier seiner Bewohner - Rex, Moss, Gary und June - ihre aufeinander bezogenen Geschichten. In vier Geschichtskaskaden entfaltet Patrick Roth eine Welt, in die das Unerwartete einbricht und auf seltsam eigene Weise die Wirklichkeit verwandelt, die eben noch definiert und festzustehen schien. Starlite Terrace erzählt von Wundern im Alltäglichen."
Tatsächlich geht es in dem Buch um die kleinen Helden des Alltags, ob Statist oder Sekretärin, sie sind mit der ganz großen Filmgeschichte, also Hollywood, und den ganz berühmten Schauspielern, also Marilyn Monroe, Gary Cooper und Clarke Gable immer nur entfernt verbunden. Doch unbeirrt kreist ihr Leben und Denken um die Stars. Zusätzlich läuft im Hintergrund die Sintflutgeschichte, und so werden die Helden des Alltags leider immerzu von sehr bedeutungsschwerem Regen überflutet, ohne die Arche betreten zu dürfen. Biblische Legenden und legendäre Gestalten schütteln sich beständig die Hände und doch wird kein wirklicher Bund geschlossen. Woran liegt das? Da gibt es doch wirklich ergreifende Szenen, tolle Dialoge und echtes Scheitern wie im richtigen Leben. Es ist vielleicht ein wenig Geschmackssache, denn mir war es einfach zu viel Symbolik, zu viel Pathos im erhabenen Stil. Da aber Geschmäcker verschieden sind hier noch eine Kostprobe:

Eine der eindringlichsten Szenen ist m.E. die, in der Ara, der armenische Filmemacher, sein erstes Filmerlebnis nacherzählt. Auch in diesem Film ging es um Noah und seine Söhne. Doch zu den Söhnen Sem, Ham und Japhet gesellt sich Ur, der verlorene Sohn, der die anderen beim Einrichten der Arche scheinbar belauscht. Ur und seine Frau dürfen nicht auf die Arche. Ur bittet einen Engel ihn und seine Frau in Tiere zu verwandeln, worauf seine Frau verschwunden ist. Er selber eilt zur Arche, doch Wasser, brennendes Wasser holt ihn ein. "Da kam ein Dunkel vor ihn, als würde alles dunkel, aber dann sah man: Es muss ein riesiger Fels sein, der auf ihn zugestoßen wurde. Und im nächsten Moment schon klammerte er sich daran und wurde mitgerissen. Man sah Ur ausgestreckt, mit beiden Armen ausgreifend, als hielte er sich am Leib eines Wals ... bis man sah, dass es keiner war, sondern die Arche selbst. Sah, dass Ur an der Archenwand sich festhielt, der Arche, die durch die Wasser geschleudert, hinab ins Wasser getaucht wurde - so schlug es über ihr zusammen -, aber auch wieder nach oben gerissen, nach oben, aus den Wassern heraus und über sie hin. Und als die Arche wieder auf den Wassern schwamm, sah man durch dichtes, unendlich dicht fallendes Regengeschnür, dass Ur seine Hände und Füße in die dicht verpichten Nischen und Fugen zwischen den behauenen Stämmen der Arche gestoßen hatte und so an der Arche sich festhielt, wie einer, der mit dem Gesicht zum Holz hin gekreuzigt ist." Ein Feuer bricht in der Arche aus, alle fliehen vom Feuer weg, nur eine Ziege nicht, die verwandelte Geliebte von Ur. Als die beiden sich wiederfinden und sie sich sehen können: ein Auge das andere legt sich das Feuer. Beide überleben, die Frau wird zurückverwandelt.  

Gary, der eigentliche Held der Episode "Reiter auf dem Sturm" (auf ist kein Tippfehler) kommentiert die Geschichte so: "Vierzig Tage Sintflut, davon hat er doch erzählt, dein Armenier. Weißt du, manchmal hab ich das Gefühl, dass ich schon vierzig Jahre drin schwimme. Immer wieder am Ersaufen bin. Nie wirklich Grund unter den Füssen habe..."