Samstag, 2. März 2013

Einfach werden!

Soll doch der alte Kaffeehausgänger und einst so geliebte und auch ein wenig gehaßte Lebenskünstler Peter Altenberg was erzählen und hier einmal zu Wort kommen, wenn sein Werk nun schon Das Buch der Bücher heißen muss. Frömmigkeit wird niemand von ihm erwarten und oder fordern, aber vielleicht hat er einen Beitrag zur Fastenzeit zu liefern. Mir kam unverhofft dieses Gedicht vor Augen, dass Old Peter wieder ganz als Kämpfer an einsamer Front zeigt: "Mittendrin in diesem Weltsturm sitze ich krank in meinem Zimmerchen und überdenke, überschaue die Sünden, nein, die Irrtümer der Menschheit! Denn die große Sünde ist --- sich irren! Sich nicht irren ist allein sündelos! Neid, Eitelkeit, Eifersucht, Eigendünkel, falscher Ehrgeiz beherrschen die Welt! Ein Irrtum des Lebens!  Werdet einfach! Wenn ihr jetzt, jetzt nicht erkennt, dass jeglicher Luxus überflüssig, traurig, lächerlich, schädlich und vom Satan ist, dass die Welt und ihr unnütz euch groß getan habt mit Überflüssigem, wann, wann werdet ihr es dann noch jemals erkennen?! Werdet einfach! Gesundheit, Reinheit des Leibes und der Seele werde euer einziger Luxus!... Eure Wände seien getüncht, eure Fenster bei Tag und Nacht geöffnet, euer Lager hart-gesund, eine Art idealer Pritsche, bester Loden und bester Flanell ersetzen euch die verbrecherischen Pelze! Werdet einfach! Es gibt einen Genuss der Einfachheit! Es gibt einen Stolz, es gibt eine Ehre des einfachen Lebens. Jeder helfe jetzt mit, die Welt zu reinigen von düsteren, grausamen, heimtückischen, teuflischen Vorurteilen. Tod dem Überflüssigen, es belastet, raubt Kräfte, schwächt, verhindert und zerstört! Werdet einfach!"
Gut, dieser Text war jetzt auch nicht fürs Prekariat, aber immerhin für die, die glauben, dass die Dinge, die sie sich für ihr verdientes Geld leisten können kostbarer sind als ihre Lebenszeit.

Für alle, die in ihrer Jugend nicht Peter Altenberg lasen oder noch jung und unbelesen sind wird nun noch die Frage beantwortet: wer war eigentlich dieser Peter. PETER ALTENBERG (1859-1919) erblickte als Richard Engländer das Licht der Welt, und zwar in einer wohlhabenden jüdischen Familie. Er kannte also die Reichen gut genug. Peters Spezialgebiet wurde das Scheitern. Nein, ich lache nicht beim Schreiben eines solchen Satzes, denn Scheitern ist oft die Grundvoraussetzung fürs Träumen, Träumen fürs Dichten, Dichten fürs Überleben. Peter brach sein Medizinstudium ab, sein Jurastudium ab und die Buchhändlerlehre auch. Erinnerungen an Hesse werden wach. Ein Arzt schrieb ihn auf Lebenszeit krank, wegen "Überempfindlichkeit des Nervensystems", so dass Peter lange Sitzungen in Kaffeehäusern abhalten und zum Schreiben nutzen konnte. Außerdem konnte er Alkoholiker werden. Von seinen Freunden und Kollegen erwartete er, dass sie ihn finanziell unterstützten. Viele kamen diesen Erwartungen nach - es waren noch die guten alten Zeiten - und Peter rief zum Dank aus: sie lassen mich verhungern!