Sonntag, 2. November 2014

Noch lieber als Romane schreiben

Anders Lagerlöf sagt (und das hat er wohl irgendwo gelesen), wenn man diesen Dom betritt, fühlt man gleich, daß die, die ihn einst am Ende des zwölften Jahrhunderts bauten, durch aus nicht an die Mühe oder die Kosten gedacht haben, sondern nur daran, ein Haus zu bauen, würdig, daß Gott dort wohnt. Und als Anders das sagte, war mir genauso, als fühlte ich Gottes Gegenwart. Er schwebte oben im Gewölbe und sah auf uns herunter, obgleich wir ihn nicht sehen konnten. 
Ich bin noch niemals in eine Kirche getreten, wo man Gottes Gegenwart so deutlich fühlt; aber dieses ist auch die erste Kathedrale, die ich gesehen habe. (Kathedrale ist ein schönes Wort).
Es war ein Samstagvormittag, und so war kein Gottesdienst. Außer uns fünf und dem Kirchendiener, der uns herumführte, war die Kirche vollkommen leer, aber es war sehr feierlich. Ich hätte da drinnen ganz ruhig stehen bleiben und nur immer an Gott denken mögen. 
Anders erzählte mir, wie es früher war, wenn eine Kirche erbaut wurde. Große Abteilungen von Arbeitern haben da gemauert und Steine zugehauen, wohl zwanzig Jahre lang, ja gar fünfzig und hundert Jahre lang, ehe das Gotteshaus fertig war. Und er sagte, man kann jetzt keine schönen Kirchen mehr bauen, weil alle Menschen es so eilig haben und ihre arbeit nicht mehr mit derselben Liebe ausführen, wie das früher der Fall war. Darin hat Anders gewiß recht, und im stillen dachte ich, die Menschen müssen sehr glücklich gewesen sein, die ihr ganzes Leben lang an einer Kathedrale bauen durften. Ich glaube, das würde ich noch lieber tun als Romane schreiben. 

aus: Selma Lagerlöf, Das Tagebuch der Selma Lagerlöf.