Der Gertrudsvogel
Als unser Herr Christus und St. Petrus noch auf Erden
einherwandelten, kamen sie einmal zu einer Frau, die bei ihrem Backtrog
stand und den Teig knetete. Sie hieß
Gertrud und hatte eine rothe Mütze
auf. Da beide den Tag über schon weit gegangen und daher sehr hungrig
waren, bat der Herr Christus die Frau um ein Stückchen Brod. Ja, das
sollte er haben, sagte sie und nahm ein Stückchen Teig und knetete es
aus; aber da ward es so groß, daß es den ganzen Backtrog anfüllte. Nein,
das war allzu groß, das konnte er nicht bekommen. Sie nahm nun ein
kleineres Stück; aber als sie es ausgeknetet hatte, war es ebenfalls zu
groß geworden; das konnte er auch nicht bekommen. Das dritte Mal nahm
sie ein ganz ganz kleines Stück; aber auch das Mal ward es wieder zu
groß. »Ja, so kann ich Euch Nichts geben,« sagte Gertrud: »Ihr müsst
daher ohne Mundschmack wieder fortgehen; denn das Brod wird ja immer zu
groß.« Da ereiferte sich der Herr Christus und sprach: »Weil Du ein so
schlechtes Herz hast und mir nicht einmal ein Stückchen Brod gönnst, so
sollst Du zur Strafe dafür in einen Vogel verwandelt werden und Deine
Nahrung zwischen Holz und Rinde suchen, und nicht öfter zu trinken
sollst Du haben, als wenn es regnet.« Und kaum hatte er die Worte
gesprochen, so war sie zum Gertrudsvogel verwandelt und flog oben zum
Schornstein hinaus; und noch den heutigen Tag sieht man sie herumfliegen
mit einer rothen Mütze auf dem Kopf und schwarz über dem ganzen Leib;
denn der Ruß im Schornstin hatte sie geschwärzt. Sie hackt und bickt
beständig in den Bäumen nach Essen und piept immer, wenn es regnen will;
denn sie ist beständig durstig.