Mittwoch, 3. Juli 2013

Wer wartet hinter der Tür


 Heimkehr von Franz Kafka

Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Und ich wage nicht an die Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.

Die Parabel Heimkehr kann durchaus mit dem Gleichnis Vom verlorenen Sohn (Lukas 15, 11-32) in Verbindung gebracht werden. Der Unterschied liegt auf der Hand: Kafkas Heimkehrer wird nie wirklich ankommen, selbst wenn er zurückkehrt. Der verlorene Sohn im Gleichnis der Bibel wird vom Vater in die Arme genommen, Kafkas Held hält zögnerd inne. Er lauscht, er erinnert sich, er zweifelt: was kann ich ihnen nützen. Er wagt es nicht einmal an die Küchentür zu klopfen und so bleibt eine Familie, von der wir nichts wissen im Verborgenen. Der Vater bleibt unerkannt in der Ferne, der Sohn lauscht von der Ferne her und erhorcht nichts. Die Szene, die alle Maler so gern darstellen, nämlich wie der verlorene Sohn vom Vater in die Arme genommen wird, entfällt. Aber warum kann dieser Heimkehrer nicht heimkehren, fragen wir uns. Hoffentlich. Man deutet die Parabel gern autobiographisch und sagt: Kafka habe sich in seiner Familie, insbesondere beim Vater, nie zuhause gefühlt, er war ein Außernseiter in der eigenen Familie. Deshalb kann er nicht nachhause zurückkehren, weil er es nie hatte, dies Zuhause.
Schwer ist es fortzugehen für einen, der fremd ist in der eigenen Familie. 
Unmöglich ist es heimzukehren, wenn man nicht fortgeht.

 Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 in Prag geboren. Für mich wird er mit jedem Text, den ich von ihm lese wiedergeboren.