Amos Oz: Judas
„Dies
ist die Geschichte der Wintertage Ende des Jahres 1959, Anfang 1960.
In dieser Geschichte gibt es Irrtum und Lust, es gibt enttäuschte
Liebe, und es gibt so etwas wie die Frage nach Religiosität, die
hier unbeantwortet bleibt. An manchen Häusern sind die Zeichen des
Krieges noch zu erkennen...“ Mit diesen Worten beginnt Amos Oz
seinen Roman Judas.
Wir befinden uns demnach sofort im Programm der Bestseller: für
jeden was dabei. Weiterhin wie erwartet: perfekter Aufbau, klar
umrissene Helden mit kleinen Macken, durcherzählte Handlung,
metaphernreiche Sprache, genügend Wiederholungen und der typische
ausführlich erklärende Erzählstil. Das mag für jedermann
leicht lesbar sein, für mich bedeutet es harte Arbeit. Doch ich
bleibe dran, wegen Judas und dem, was A.O. mit ihm anstellen wird.
Zurück zur
Handlung oder geht’s auch genauer? Der junge Held Schmuel Asch
befindet sich (selbstverständlich) in einer Krise: Ende der
bestehenden Beziehung, Abbruch des Studiums, Entfremdung in der
Familie, Einsamkeit, Aufgabe der politischen Ambitionen, Rückzug
aufs Land. Damit ist das Scheitern komplett, die Krise erreicht den
Grad der Vollkommenheit.
Interessant ist
nun, dass der Rückzug des jungen Mannes in das „abgeschlossene
Haus“ Ataljas, die Schmuel als Gesellschafter für ihren
Schwiegervater, den alten gehbehinderten Herrn Wild, anstellt, nicht
das Ende seiner Studien bedeutet. Im Gegenteil. Schmuel wird durch
die intellektuellen Gespräche mit Gerschom Wild und der
geheimnisvollen Geschichten, die sich um Atalja, ihren im Krieg
gefallenen Mann und ihren verstorbenen Vater Schealtiel Abrabanel ranken,
inspiriert. Sein Thema: Jesus in den Augen der Juden bleibt
sein Forschungsthema. Die Geschichte der Judasrezeption wird
historisch-kritisch (für uns sogar chronologisch) erzählt, läuft
parallel zur erzählten Geschichte des politischen Verräters Abrabanel. Und gipfelt schließlich in eine fiktive Rede des
Verräters selbst. Diese Judasrede am Ende des Buches enthält einen
Perspektivwechsel, denn der Leser lernt Judas von einer ganz anderen
Seite kennen. So wird Judas erlöst von dem plumpen, geldgierigen,
eifersüchtigen Charakterprofil, ebenso wie von dem kriegerischen,
befreiungssüchtigen des Zeloten. Ist das neu? Auch in der
christlichen Tradition gibt es Judas als Bruder des Herrn, ohne den
es kein Erlösungsgeschehen gegeben hätte. Doch hier wird Judas
(etwas überhöht) zum ersten Christen, ja zum einzigen Menschen, der
an Jesus wahrhaftig geglaubt hat. Allein sein Glaube war es, der ihn
zum Verräter werden ließ, denn Judas wollte mehr für seinen Herrn,
Meister, Gott. Seiner Rede zufolge überredete er Jesus nach
Jerusalem zu gehen, sich töten zu lassen, um mehr zu werden als ein
Heiler und Endzeitprediger vom Lande. Jesus – von Judas als Gott
erkannt – sollte gekreuzigt werden, jedoch ohne zu sterben. Als
Judas den erbärmlichen Tod Jesu mitansehen muss, als er sieht, dass
Jesus nicht triumphierend vom Kreuz herabsteigt, verzweifelt er und
nimmt sich das Leben.
Amoz Oz ist
Anhänger der Friedensbewegung und der Zwei-Staaten-Lösung, er hat
seine Position gefunden. In seinem Roman schafft er vor allem eines:
Verständnis für die Sicht des Anderen, den Anderen, den man Verräter nennt, weil er die Gruppe verlässt. Der Dialog zwischen den politischen Gegnern brach ab
(Wild und Abrabanel schwiegen jahrelang) aber der Geschichtenerzähler
erzählt uns diese Geschichte, damit wir verstehen, was damals
geschah, was heute geschieht und indirekt auch: was heute geschehen
sollte. Denn noch etwas wird deutlich: alle sind dort Verlorene,
Trauernde, Kriegsopfer. Atalja, zuständig in Sachen Liebe, lässt
sich auf Affären, doch nicht mehr auf die Liebe ein. Sie bleibt
erstarrt, im Zustand der Trauer und Resignation. Und Schmuel Asch,
der junge Mann, der seinen Bart ständig mit Babypuder pflegt, der
unsicher und tollpatschig ist, wird wenigstens er ein neues Leben
beginnen können? Ist er entwicklungsfähig? Ist das überhaupt das
Thema?
Dieses Buch wird von sehr vielen Menschen gelesen werden, es wird bilden, aufklären, unterhalten. Die Übersetzung durch Mirjam Pressler wurde mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet. In einem Interview auf der Leipziger Buchmesse sagte Amos Oz, dass er das Buch auch geschrieben hätte, weil auch er oft als Verräter gebrandmarkt worden wäre. Er sieht den "Verräter" aber als jemanden, der auch positive Eigenschaften hat, ja eine positive Funktion hat, denn er möchte Veränderungen hervorrufen; er hält die Erstarrung einer Gruppe nicht aus. Diese Sätze haben mich sehr berührt.
Weitere Informationen auf der Suhrkamp-Verlagsseite
Amos Oz, Judas, Roman Suhrkamp, 2015.
Dieses Buch wird von sehr vielen Menschen gelesen werden, es wird bilden, aufklären, unterhalten. Die Übersetzung durch Mirjam Pressler wurde mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet. In einem Interview auf der Leipziger Buchmesse sagte Amos Oz, dass er das Buch auch geschrieben hätte, weil auch er oft als Verräter gebrandmarkt worden wäre. Er sieht den "Verräter" aber als jemanden, der auch positive Eigenschaften hat, ja eine positive Funktion hat, denn er möchte Veränderungen hervorrufen; er hält die Erstarrung einer Gruppe nicht aus. Diese Sätze haben mich sehr berührt.
Weitere Informationen auf der Suhrkamp-Verlagsseite
Amos Oz, Judas, Roman Suhrkamp, 2015.