Aus gegebenem Anlass (s.u.) möchte ich hier nochmals auf die wunderbaren "Geschichten vom Herrn G." von Thomas Weiß hinweisen:
Dass ihm nachgesagt wurde, er wisse alles, machte Herrn G. viele Gedanken, sodass er nachts nicht schlafen konnte, wenn er merkte, worin der doch nicht vollkommen war. Besonders belastend war es für Herrn G. als er feststellte, dass er nicht wusste, was es bedeutet, versehrt zu sein. Also lernte er Abschied, Trauer und Tod. Gute Ratgeber fand er in den Menschen, denen Herr G. dafür sehr dankbar war.
In Büchern las Herr G. immer wieder und mit Spannung. Darum brachte Herr G. den Menschen das Schreiben bei. Bald nahmen die Veröffentlichungen aber dergestalt überhand, dass Herr G. den Überblick verlor und nicht mehr wusste, was aus der Fülle er lesen sollte. Da erschuf er die Kritiker und den Grauen Star.
Mehr und vor allem vom Autor selbst gelesen am Sonntag, den 30. März 2014 - 17:00 Uhr in der Freiburger Friedenskirche. Ich schlage vor, Sie schauen dann einfach mal vorbei!
Sonntag, 23. März 2014
Mittwoch, 5. März 2014
Literatur aus Ägypten
Chalid al-Chamissi - Im Taxi
Es genügte mir, neben ihm zu sitzen, um mich wohl zu fühlen und das Leben zu lieben. Irgendetwas an ihm erinnerte mich an meinen Lieblingschansonier, den Belgier Jaques Brel. Wie unrecht er doch hatte, als er sang, dass der Tod besser als Altern sei...
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er schon seit sechzig Jahren Taxi fuhr. Der Mut, ihn nach seinem Alter zu fragen fehlte mir zwar, aber ich wagte, ihn auf seine Erfahrungen anzusprechen: "Welche Lehre ziehen Sie aus all den Jahren, damit einer wie ich von Ihren Erfahrungen profitieren kann?"
"Gott sorgt sogar für die schwarze Ameise, die in einer mondlosen Nacht über einen schwarzen Felsen kriecht."
"Was meinen Sie damit?"
"Ich werde Ihnen erzählen, was mir kürzlich zugestoßen ist, damit Sie verstehen, was ich meine."
"Bitte!"
"Zehn Tage lang war ich so krank, dass ich mich nicht aus dem Bett bewegen konnte. Ich bin sehr arm und lebe von der Hand in den Mund. Nach einer Woche war kein Piaster mehr im Haus. Ich wusste das, auch wenn meine Frau es vor mir verbergen wollte. Ich fragte sie, was wir tun sollten. "Es ist alles in Orndung, Abu Hussain, antwortete sie. In Wahrheit hatte sie angefangen, Essen bei den Nachbarn zusammenzubetteln. Meine Kinder haben selbst viel um die Ohren, einer hat die Hälfte seiner Kinder verheiratet, für die andere aber hat es nicht gereicht; ein anderer hat einen kranken Enkel und rennt mit ihm von Spital zu Spital. Kurz gesagt: Von ihnen können wir keine Hilfe verlangen. Vielmehr müssten wir ihnen helfen. Nach zehn Tagen sagte ich zu meiner Frau, ich müsse wieder arbeiten. Sie sagte nein und schrie, ich würde sterben. Im Grunde war ich zu krank um aus dem Haus zu gehen, aber ich hatte keine Wahl. Und so log ich und sagte, ich würde kurz ins Café um die Ecke gehen. .. Ich ging zum Wagen, startete den Motor und flüsterte "Gott helfe mir!" Ich fuhr und fuhr, bis ich zum Ormanpark kam. Dort stand ein Peugeot 504, der offenbar eine Panne hatte. Der Fahrer winkte mir und ich hielt an. Er sagte, er habe einen Kiunden vom Golf, der zum Flughafen müsse. Ob ich ihn an seiner Stelle hinbringen könne. Das war die Vorsehung Gottes!
Der Gast stieg ein. Er war aus Oman, aus dem Land von Sultan Kabus. Als er mich nach dem Fahrpreis fragte, antwortete ich: "Was immer Sie mir geben." Er fragte: "Sie nehmen, was immer ich Ihnen gebe?" Ich bejahte.
Auf dem Weg zum Flughafen erfuhr ich, dass er zum Frachtschalter musste, weil er Waren zu verzollen hatte. Ich sagte, mein Enkel arbeite dort und würde ihm bei der Zollabfertigung helfen. Tatsächlich fand ich meinen Enkel; er hatte gerade Schicht. Wir erledigten die Zollsache, dann brachte ich den Omaner zurück nach Dukki. Er fragte abermals: "Was bekommen Sie, Hagg?" Ich antwortete, wir seien übereingekommen, dass er den Fahrpreis bestimme. Er gab mir fünzig Pfund (6,20 Eur). Ich nahm sie, bedankte mich und ließ den Motor an. Er fragte mich, ob ich zufrieden sei. Ich sagte ja. Dann sagte er "Hagg, der Zoll hätte normalerweise tausenvierhundert Pfund von mir genommen. Dank Ihnen habe ich nur sechshundert bezahlt. Die Differenz ist für Sie. Sie haben es verdient. Die Taxifahrt ist zweihundert wert. Und die fünzig Pfund von vorhin sind ein kleines Geschenk.
Sehen Sie, mein Herr, da hat mir eine einzige Fahrt über tausend Pfund eingebracht. Manchmal nehme ich in vier Wochen nicht so viel ein. Sehen Sie, was Gott tut? Er hat mich aus dem Haus gehen lassen, hat dafür gesorgt, dass ein Peugeot 504 eine Panne hat, und alles Übrige arrangiert, damit ich zu dem Geld komme. Das täglich Brot gehört nicht mir und das Geld gehört nicht mir: Alles gehört Gott. Das ist die Lektion, die ich in meinem Leben gelernt habe."
Ich war traurig, als ich aus dem Taxi steigen musste, denn ich hätte gern noch Stunden mit dem Fahrer verbracht. Aber auch ich musste für meinen Lebensunterhalt sorgen.
Chalid Al-Chamissi, Im Taxi. Unterwegs in Kairo. Lenos Verlag 2012.
Wer mehr hören möchte ist eingeladen: Freitag 14. März 2014 - 19:30 Kooperatur am Münsterplatz, Freiburg. Ute Niethammer und Manuela Fuelle lesen zum Weltgebetstag der Frauen zeitgenössische ägyptische Literatur.
Es genügte mir, neben ihm zu sitzen, um mich wohl zu fühlen und das Leben zu lieben. Irgendetwas an ihm erinnerte mich an meinen Lieblingschansonier, den Belgier Jaques Brel. Wie unrecht er doch hatte, als er sang, dass der Tod besser als Altern sei...
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er schon seit sechzig Jahren Taxi fuhr. Der Mut, ihn nach seinem Alter zu fragen fehlte mir zwar, aber ich wagte, ihn auf seine Erfahrungen anzusprechen: "Welche Lehre ziehen Sie aus all den Jahren, damit einer wie ich von Ihren Erfahrungen profitieren kann?"
"Gott sorgt sogar für die schwarze Ameise, die in einer mondlosen Nacht über einen schwarzen Felsen kriecht."
"Was meinen Sie damit?"
"Ich werde Ihnen erzählen, was mir kürzlich zugestoßen ist, damit Sie verstehen, was ich meine."
"Bitte!"
"Zehn Tage lang war ich so krank, dass ich mich nicht aus dem Bett bewegen konnte. Ich bin sehr arm und lebe von der Hand in den Mund. Nach einer Woche war kein Piaster mehr im Haus. Ich wusste das, auch wenn meine Frau es vor mir verbergen wollte. Ich fragte sie, was wir tun sollten. "Es ist alles in Orndung, Abu Hussain, antwortete sie. In Wahrheit hatte sie angefangen, Essen bei den Nachbarn zusammenzubetteln. Meine Kinder haben selbst viel um die Ohren, einer hat die Hälfte seiner Kinder verheiratet, für die andere aber hat es nicht gereicht; ein anderer hat einen kranken Enkel und rennt mit ihm von Spital zu Spital. Kurz gesagt: Von ihnen können wir keine Hilfe verlangen. Vielmehr müssten wir ihnen helfen. Nach zehn Tagen sagte ich zu meiner Frau, ich müsse wieder arbeiten. Sie sagte nein und schrie, ich würde sterben. Im Grunde war ich zu krank um aus dem Haus zu gehen, aber ich hatte keine Wahl. Und so log ich und sagte, ich würde kurz ins Café um die Ecke gehen. .. Ich ging zum Wagen, startete den Motor und flüsterte "Gott helfe mir!" Ich fuhr und fuhr, bis ich zum Ormanpark kam. Dort stand ein Peugeot 504, der offenbar eine Panne hatte. Der Fahrer winkte mir und ich hielt an. Er sagte, er habe einen Kiunden vom Golf, der zum Flughafen müsse. Ob ich ihn an seiner Stelle hinbringen könne. Das war die Vorsehung Gottes!
Der Gast stieg ein. Er war aus Oman, aus dem Land von Sultan Kabus. Als er mich nach dem Fahrpreis fragte, antwortete ich: "Was immer Sie mir geben." Er fragte: "Sie nehmen, was immer ich Ihnen gebe?" Ich bejahte.
Auf dem Weg zum Flughafen erfuhr ich, dass er zum Frachtschalter musste, weil er Waren zu verzollen hatte. Ich sagte, mein Enkel arbeite dort und würde ihm bei der Zollabfertigung helfen. Tatsächlich fand ich meinen Enkel; er hatte gerade Schicht. Wir erledigten die Zollsache, dann brachte ich den Omaner zurück nach Dukki. Er fragte abermals: "Was bekommen Sie, Hagg?" Ich antwortete, wir seien übereingekommen, dass er den Fahrpreis bestimme. Er gab mir fünzig Pfund (6,20 Eur). Ich nahm sie, bedankte mich und ließ den Motor an. Er fragte mich, ob ich zufrieden sei. Ich sagte ja. Dann sagte er "Hagg, der Zoll hätte normalerweise tausenvierhundert Pfund von mir genommen. Dank Ihnen habe ich nur sechshundert bezahlt. Die Differenz ist für Sie. Sie haben es verdient. Die Taxifahrt ist zweihundert wert. Und die fünzig Pfund von vorhin sind ein kleines Geschenk.
Sehen Sie, mein Herr, da hat mir eine einzige Fahrt über tausend Pfund eingebracht. Manchmal nehme ich in vier Wochen nicht so viel ein. Sehen Sie, was Gott tut? Er hat mich aus dem Haus gehen lassen, hat dafür gesorgt, dass ein Peugeot 504 eine Panne hat, und alles Übrige arrangiert, damit ich zu dem Geld komme. Das täglich Brot gehört nicht mir und das Geld gehört nicht mir: Alles gehört Gott. Das ist die Lektion, die ich in meinem Leben gelernt habe."
Ich war traurig, als ich aus dem Taxi steigen musste, denn ich hätte gern noch Stunden mit dem Fahrer verbracht. Aber auch ich musste für meinen Lebensunterhalt sorgen.
Chalid Al-Chamissi, Im Taxi. Unterwegs in Kairo. Lenos Verlag 2012.
Wer mehr hören möchte ist eingeladen: Freitag 14. März 2014 - 19:30 Kooperatur am Münsterplatz, Freiburg. Ute Niethammer und Manuela Fuelle lesen zum Weltgebetstag der Frauen zeitgenössische ägyptische Literatur.
Abonnieren
Posts (Atom)